und noch eine Geschichte über das Busfahren, weils so schön ist – und besser spät als nie…
… heute wollen wir, nach dem wir zwei Tage in den alten Kirchenruinen Antiguas rumgekraucht sind und alle uns unbekannten Früchte auf dem Markt ausprobiert haben, nach Chichikastenango, einer Bergstadt weiter nördlich, fahren. … oder hieß die Chinandega? oder Chichimatagalpa? hier heißen alle Städte gleich – egal, steht ja irgendwo auf einem Zettel. Wir kommen vollbepackt am Busbahnhof an und fragen den erstbesten Busfahrer, wo der der Bus nach Chichi… Chicha… Chichinastekango? abfährt. “A Chichikastenango por alli, alli” – ruft er, und zeigt in eine Richtung, wo noch ungefähr zehn weitere Busse stehen. Kurze Zeit später sitzen wir im überfüllten Bus mit Flachbildschirm, der Musikvideos zeigt. Der Bass geht durch Mark und Bein und ich komme mir vor wie auf einer schlechten Elektroparty. Neben mir sitzt eine Indiofrau, ihre Hände liegen neben meinen auf der Lehne des Vordersitzes, sie sind so klein wie die eines Kindes.
Dann steigt plötzlich der halbe Bus aus – zu spät frage ich warum, hier war die Umsteigehaltestelle nach Chichiwasweißich. Wir steigen eine Station später aus und bekommen unsere Rucksäcke vom Dach aus nachgeworfen. Dann erkundigen wir uns bei ungefähr zehn Leuten nach dem Bus nach Chichi… (in diesem Moment weiß auch schon jeder welche Stadt gemeint ist, denn hier sagt jeder nur Chichi, C-H-I-C-H-I-K-A-S-T-E-N-A-N-G-O ist ja auch viel zu lang) aber wir werden von jedem woanders hingeschickt, mal nach links und dann drei Blöcke nach rechts und dann eine steile Straße rauf – und wieder runter. Ist ja eigentlich ganz lustig, aber mit dem ganzen Gepäck ist der Spaß schnell vorbei. Eine Sodaverkäuferin weißt uns endlich den richtigen Weg und erklärt mir, dass wir einen Bus nach “Quiche” nehmen müssten, um dann in “Chichi” auszusteigen. Quiche – Chichi – Quiche – Chichi, ich versuche krampfhaft diese beiden Wörter im Kopf zu behalten, ohne sie zu vermanschen. Der Bus nach “Quiche” kommt auch bald und ich quetsche mich durch den Mittelgang – vor mir ein Melonenverkäufer mit einer riesigen Schüssel auf dem Kopf, hinter mir eine Indianerfrau mit einem wackligen Berg frittierter Platanos. Der anfahrende Bus lässt mich unkontrolliert nach vorne stolpern, eine Vollbremsung folgt und nur dir rettenden Hände eines Einheimischen bewahren mich vor dem totalen Fall. Ich bekomme von einem netten Herrn fünf Zentimeter von seinem Sitzplatz angeboten und setze mich.
Auf den Zweierbänken sitzen drei, auf den Dreiern vier – so bilden sich durchgängige Reihen, einen Mittelgang gibt es nicht mehr. Wie der Schaffner das Geld einkassiert, ist mir schleierhaft.
Doch das Beste kommt erst noch: der Busfahrer (klein, dick, unauffällig) fährt wie der leibhaftige Teufel, die steilsten Serpentinen hoch und runter wie ein Bekloppter. Er überholt ALLE: Autos, Lastwagen, Viehwagen – steile Abhänge oder am Straßenrand entlangwandernde Indios hindern ihn nicht an waghalsigen Überholmanövern. Wir fühlen uns wie in Need for Speed im Bonuslevel. Nach fünf Minuten ist mir schlecht – ich konzentriere mich auf meine Hand, mit der ich krampfartig eine Metallstange umklammere. Ich muss plötzlich an Frida Kahlo denken – nein, ich möchte nicht von einer Metallstange durchbohrt werden, nur weil der Busfahrer völlig verrückt geworden ist. Drei Reihen weiter vorne hält ein Mann eine Tüte mit Goldstaub in der Hand. Eine Frau stillt ihr Kind. In der nächsten Kurve verliere ich den Halt und lande bei meinem einen Nachbarn auf dem Schoß. Der andere Nachbar liegt auf meinem Schoß. Diese Straße besteht nur aus Kurven. Dabei bleiben die Einheimischen ganz nüchtern, stocksteif schwanken sie im Rhythmus der Kurven hin und her und lassen sich nichts anmerken. Bastis Banknachbar erzählt, das wir im Bus mit dem schnellsten Busfahrer sitzen, für diese Strecke braucht ein Bus normalerweise vier Stunden, der hier schafft das in zweieinhalb. Es fängt an zu Stinken, das sind wohl die Bremsen. Ein Kind schreit. In Chichikastenango wanke ich völlig benommen aus dem Bus, die Ohren dröhnen, der Kopf summt.
An der Bushaltestelle quatscht uns ein junger Mann an, dem beide Vorderzähne fehlen und er besorgt uns ein wunderschönes Zimmer für einen Spottpreis – wir haben zwei Balkone, von dem einen aus sehen wir die ganze Stadt, vom dem anderen das Gebirge, wir begreifen das als ausgleichende Gerechtigkeit. Wir erfahren auch, dass morgen die Busse doppelt so voll sein werden und erfreuen uns unseres Schicksales, das es doch ganz gut mit uns meint. Morgen ist Indiomarkt und wenn wir Glück haben, sehen wir sogar eine Mayaprozession.

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